Im Norden Indiens liegt die Region Ladakh, eingezwängt zwischen Gebieten, um die sich Indien, Pakistan und China streiten. (2002)
Unterschiedlich wie die Bedeutungen sind die Schreibweisen:
Julee, Jule, Juley, Jullay. Gesprochen wird es immer „Dschülee“. Guten Tag, guten Morgen, guten Abend, auf Wiedersehen, Danke. Julee schwirrt nur so herum im Wortschatz der Ladakhi.
Julee heißt es beim Eintreten ins Haus der Bauernfamilie Jowoo im Dörfchen Stakmo in einem Seitental des Indus. Dort, wo an einem Bach einen Kilometer breit und zehn Kilometer lang sattes Grün mit Getreidefeldern, Gemüsegärten und Obstbäumen einen harten Kontrast bildet zu der Welt der beige-grauen Berge, Geröllhalden und wüstenähnlichen Plateaus.
Norbu Dolma, die Bäuerin, setzt schwarzen Tee an und holt die Utensilien für die Zubereitung von Buttertee hervor. Eine Köstlichkeit in Ladakh, die für den Gaumen der meisten Europäer wenig Anheimelndes hat. Doch man trinkt tapfer. Der Erfahrungen wegen und als Antwort auf die Gastfreundschaft.
Außerdem tut die Pause gut. Die Bergwelt im Himalaja ist atemberaubend. Weil sie wild-schön ist und weil jeder Schritt in der Höhenluft den Atem raubt. Wenigstens zwei Tage lang, ehe man sich an den permanenten Aufenthalt zwischen 3500 und 4500 Meter über dem Meeresspiegel angepasst hat.
Norbu Dolma ist selbstbewusst und damit typisch für die Frauen im buddhistisch geprägten Landstrich, der mehr Tibet denn Indien ist. Sie ist eine Ausnahme, weil sie in einem Film mitgespielt hat. Dem ersten Spielfilm, der in Ladakh, Teil des Bundesstaates Jammu und Kaschmir, vor drei Jahren gedreht wurde.
Bei Norbu Dolma in der großen Küche mit den faszinierenden Schränken mit Geschirr hinter Glas und den niedrigen Tischen, an denen man auf Polstern zu ebener Erde oder auf niedrigen Bänken sitzt, fühlt man sich geborgen. „Samsara“ heißt der Film, in dem sie die Mutter der weiblichen Hauptdarstellerin spielt. Regisseur Pan Nalin hat, außer in den Hauptrollen, vor allem auf Laiendarsteller gesetzt.
„Samsara“ ist die Liebesgeschichte des jungen buddhistischen Mönchs Tashi, der das Kloster verlässt, und des Bauernmädchens Pema; angefüllt mit dem Konfliktpotenzial, das sich aus dem Glauben Tashis und seiner bisherigen Lebensweise ergibt, eingehüllt in wunderschöne Bilder des Himalaja. Schneebedeckte und vergletscherte Gipfeln einerseits; unter einer im Sommer glutheißen senkrecht stehenden Sonne flimmernde Sand- und Gesteinsplateaus andererseits.
„Der Film zeigt unser Leben, wie es ist“, sagt Norbu Dolma. Und darauf ist sie stolz, weil die Welt vom Leben in Ladakh bisher wenig weiß. Es war eine neue Erfahrung, die das Leben der damals 50-jährigen Mutter von drei erwachsenen Kindern jedoch nicht wesentlich verändert hat.
Die terrassenförmigen Felder müssen genau wie vorher bestellt, bewässert, gepflegt und abgeerntet werden. Alles mit Hand, Maschinen lassen sich nicht einsetzen auf den Terrassen und zwischen den Mäuerchen, die das aus den Bergen kommende Bachwasser tagtäglich kurze Zeit zurückhalten, damit es versickern und die Erde fruchtbar machen kann.
Denn nur wo Wasser ist, ist Leben in Ladakh. Am schlammbraunen Indus ziehen sich die Dörfer und Städtchen hin und an den glasklaren Bächen der Seitentäler. In ihnen liegen auch die Klöster – rund 200 mit 5 000 Mönchen. Eine unvorstellbare Menge angesichts von 150 000 Einwohnern in Ladakh. So bekommt auch der Reisende seine Eindrücke vom Buddhismus.
Klosterbesichtigungen gehören zum Programm; in den Seitentälern Likir mit der größten Buddhastatue in Ladakh; oder Hemis, das als reichstes Kloster im Land gilt; und Thikse, der monumentale Bau in der Indusebene, nur wenige Kilometer von Leh entfernt.
Bis vor knapp 30 Jahren war das Gebiet für Touristen so gut wie nicht zugänglich. Und dann nur auf dem beschwerlichen Weg über die auch heute noch schmale, schlecht asphaltierte, löchrige, von Steinschlägen und Wasser bedrohte Straße von Srinagar oder von Manali. Seit Flugzeuge in Leh landen, nimmt die Zahl der Touristen zu.
Zwei Maschinen kommen jeden Tag, vorausgesetzt, der Himmel ist klar, sonst ist der Flugplatz dicht. Wahre Künstler von Piloten steuern die Boeings 737 in atemberaubenden Kurven durch die 5000 und 6000 Meter hohen Berge. Allerdings muss man sich ganz schön filzen lassen, um einen Jet von Delhi nach Leh besteigen zu können. Dreimal abtasten ist ebenso normal wie die Debatte mit Sicherheitskräften über die Zahl mitgeführter Batterien oder Feuerzeuge. Kaschmir ist nicht weit.
In Leh, der 15 000 Einwohner zählenden ladakhischen Hauptstadt, merkt man wenig davon. Eine Ahnung überkommt den Reisenden nur, wenn er auf dem Weg nach Stakmo kilometerlang durch Armeecamps fährt.
Neben den Klöstern faszinieren die alten Königsresidenzen wie Saspol, das zum Weltkulturerbe zählt und derzeit restauriert wird. Und Ladakh ist ein Land, das sich anbietet für Trekking, übernachten im Zelt, laufen in glasklarer Luft. Abenteuer pur in der von bis zu 6000 Meter hohen Bergen geprägten wild-romantischen Landschaft. Idylle mit freundlichen Menschen in den Dörfern, immer begleitet mit dem wohl am häufigsten gebrauchten Wort in Ladakh – Julee.