Disney World gab 1971 den Startschuss und rund 50 weitere Vergnügungsparks folgten. Zusammen bilden sie inzwischen den wichtigsten Wirtschaftsfaktor Orlandos. (Geschrieben 2008)
I. Sieg der Neugierde
Malcolm Jones geht den Tag ganz locker an. In seinem schlabberigen T-Shirt und den abgewetzten Jeans, die nackten Füße in Flip-Flops, prüft er erst einmal die Windstärke, um zu entscheiden, ob überhaupt geflogen werden kann. Dann sieht er nach seiner Technik, während seine Frau schon die Anmeldeformalitäten der ersten Besucher erledigt.
Und wenige Minuten später hängt der Flugwillige in einer Art Hülse im Aluminiumgestell, das von Segeltuch überspannt ist. Bereit für den Tandemflug im Hang Glider. Es kosten schon einige Überwindung, sich diesem Fluggerät anzuvertrauen. Schließlich ist es nicht viel, was einen in der Luft hält. Aber letztlich siegt die Neugierde.
Ein Leichtflugzeug zieht den Gleiter nach oben. Und es ist wie ein Wunder, sobald sich die Räder des Gleiters von der Erde lösen, fällt die Angst ab, es bleibt nur noch die Faszination. Auch wenn man sich auf dem höchsten Punkt der Flugbahn noch einmal erschreckt. Denn mit einem peitschenden Knall wird die Schleppleine in 600 Metern Höhe ausgeklinkt. Und der Schwebeflug in langen Kurven nach unten beginnt. Unter sich hat man nur die Luft und den Blick auf eine weite, platte Landschaft mit vereinzelten Häusern, mit Tümpeln und Seen, mit Sümpfen und Grasflächen. Alles ist spielzeugklein und alles ist still, bis auf das Rauschen des Windes am Segeltuch.
1991 kam Jones auf die Idee, die schon viel länger bekannten Gleiter mit Rädern auszustatten, um sie auch im flachen Land starten lassen zu können. So begann die Geschichte der Wallaby- Ranch, die Jones selbst als ersten und größten Hang-Gliding- Flugpark der Welt bezeichnet. Das Angebot reicht vom einmaligen Flug mit einem Piloten über mehrtägige Kurse bis zu einem Urlaubsaufenthalt auf der Ranch knapp hinter dem Stadtrand von Orlando im US-Staat Florida. Jones passt mit seiner Idee in die Vergnügungsparklandschaft, wo an vielen Stellen hoch geflogen wird.
II. Ein Freund von Fokker
Die einmotorige und fünfsitzige Maschine des Baujahrs 1931 von Bob Lock steht am Museum „Fantasy of Flight“. Bob ist Pensionär und hat sich einen Traum erfüllt mit dem Flugzeug. Vor einigen Jahren hat er begonnen, die Maschine wieder instand zu setzen. Heute bietet er Rundflüge über dem Gelände des Museums an, das einen eigenen Flugplatz besitzt. Die Start- und Landebahn ist eine Graspiste und erscheint auf den ersten Blick ziemlich kurz. Aber das Flugzeug braucht nicht viel Platz, um abzuheben.
Im „Passagierabteil“ geht es eng zu, wenn vier Personen mitfliegen. Der Wind pfeift einem um die Nase, denn ein Dach gibt es nicht. Die vier Sitze sind nach oben ebenso offen wie der Platz des Piloten. Der Propeller ist fast zum Greifen nah. Wenn Bob mit der Maschine eine Kurve fliegt, wird der Blick nach unten frei. Wieder ist es die platte Landschaft Floridas, die unter einem hinweg zieht, durchschnitten von vier- und sechsspurigen Autobahnen. Sanft setzt Bob das Flugzeug nach ein paar Minuten wieder auf der Grasbahn auf. Nach der Landung bekommt der Passagier noch eine Erinnerungsplakette angeheftet.
Smilin‘ Jack hat inzwischen gewartet. Der Museumsführer von „Fantasy of Flight“, angezogen wie ein Flieger aus den Anfängen der Luftfahrt, hat noch ein Exponat, das er den deutschen Besuchern unbedingt zeigen will. Eine „Super Constellation“ – eine Lockheed L-1649A – steht ein Stück abseits, als wartet sie auf das Signal zum Aufstieg. Doch der letzten „Take off“ liegt schon einige Jahrzehnte zurück. „Euer Kanzler Adenauer hatte die Maschine als Regierungsflugzeug“, sagt Smilin‘ Jack. Und, dass der Besitzer des Museums besonders stolz darauf ist. In den 1950er Jahren transportierte sie Adenauer zu den ersten Staatsbesuchen in die USA und nach Japan. Und heute noch steht sie am Museum in den Originalfarben der Lufthansa.
„Fantasy of Flight“ hat abgesehen von einer enormen Menge von Flugzeugen, vor allem auch vom Anfang des 20. Jahrhunderts, noch eine Besonderheit. Ganz offensichtlich ist Kermit Weeks, der Besitzer, ein Verehrer des Roten Barons, Manfred von Richthofens, dessen Abschuss 1918 im ersten Weltkrieg Fliegergemüter bis zum heutigen Tag bewegt. Es versteht sich, dass eine Fokker DR-1 als roter Dreidecker im Museum zu finden ist. Mit einem solchen Flugzeug flog von Richthofen seine letzten Einsätze.
Kermit Weeks war Motor-Kunstflieger, nahm an diversen Meisterschaften teil und gewann zahlreiche Medaillen. Mitte der 1980er Jahre begann er mit dem Aufbau des Weeks Air Museum in Miami, zeigte dort historische Flugzeuge aus seiner eigenen Sammlung sowie einige andere antike Flugzeuge. Kurz darauf kaufte er das Areal nahe von Orlando, um sein Museum zu erweitern. 1992 musste er einen schweren Rückschlag hinnehmen, als der Hurikan Andrew Fantasy of Fligth zerstörte. 1994 wurde es nach dem Wiederaufbau ein zweites Mal eröffnet.
(Mehr zum Museum Fantasy of Flight
III. Ein gutes Bier bei Frankie
Für die meisten Amerikaner, die nach Orlando kommen, beiben Typen wie Malcolm Jones, Bob Lock oder Kermit Weeks nur Randerscheinungen, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden. Für sie zählt an dem langen Wochenende oder in der einen Woche Aufenthalt in Orlando das, was die Stadt berühmt und bekannt gemacht hat – die Vergnügungsparks.
Es ist Donnerstagabend. Vor dem Eingang zum Hotel Lake Buena Vista Resort Village & Spa rollt Auto auf Auto vor. Die Angestellten haben Schwerstarbeit zu leisten, um die neuen Gäste – vornehmlich Familien aus allen möglichen Teilen der USA, aber an jenem Abend zwei Wochen vor Weihnachten auch eine laute Gruppe Niederländer – in den luxoriösen Appartements unterzubringen. Ausgestattet mit Küche, in der es an keinem technischen Gerät fehlt, Wohnzimmer und zwei bis vier Schlafzimmern und zwei Bädern, lässt es kaum Wünsche offen.
Hier macht man sich sein Frühstück selbst, die restlichen Mahlzeiten des Tages werden irgendwo in Disney World, dem Universal Adventure Island oder in Sea World in einem der mehr oder weniger guten Fast Food Restaurants eingenommen. Oder man geht abends in Frankies Pub, letztlich das einzige Restaurant unter dem Dach des Lake Buena Vista. Allerdings bekommt man dort zu erschwinglichen Preisen eine Top-Steak oder auch leckeren gegrillten Weißfisch und ein gutes Bier (letzteres ist in den USA nicht unbedingt selbstverständlich – zumindest nicht aus deutscher Sicht). Dafür ist man eingekreist von Flachbildschirmen, die an Decken und Wänden hängen, so dass von jedem Platz aus der Blick auf einen Monitor und damit auf ein aktuelles Football-Spiel gewährleistet ist. Ein paar US-Klischees stimmen halt immer.
Gleich neben dem Hotel gibt es ein ziemlich großes Outlet-Center, die in und um Orlando nicht selten sind. Kenner sagen, dass man dort bei bestimmten Marken wahre Schnäppchen machen könne, die in Deutschland oder in Europa unmöglich seien. Wie auch immer, der Bummel dort ist pures Vergnügen, wenn man gern shoppen geht. Ganz früh am Morgen, wenn die Geschäfte noch geschlossen, die Parkplätze leer sind, eignen sich die Straßen des Outlet-Centers übrigens perfekt als Joggingstrecke. Selbst der Sheriff, der mit seinem riesigen Schlitten unübersehbar mitten im Center steht und Wachsamkeit demonstriert, wundert sich kein bisschen, wenn man zwei- oder dreimal an seiner Motorhaube vorbei läuft.
IV. Fahrstuhl des Schreckens
Von hier aus wird dann morgens gestartet, um sich ins Getümmel der Vergnügungsparks zu stürzen. Was neben allem Kitsch überall sofort ins Auge springt, sind die die überdimensionalen Rollercoaster – die harmlose Variante davon nennen wir in Deutschland Achterbahn – in Disney World, Sea World oder Universal Adventure Island. Mancher kommt da wieder raus und ist käseweiß im Gesicht. Die Wagen der Rollercoaster befinden sich eigentlich zu keiner Zeit in Normallage. Vertikale und horizontale Überschlägewechseln sich permanent ab oder sind kombiniert. Gerade mitten in der Woche und im Winter, der in Florida mit Temperaturen jenseits der 20 Grad Celsius schön warm ist, halten sich die Anstehzeiten an den Attraktionen der Vergnügungsparks, von denen es in und um Orlando rund 50 gibt, in Grenzen. Zehn Minuten an den Rollercoastern etwa. Davon gibt es aber auch genug.
Aber auch mal eine knappe Stunde am Hollywood Tower Hotel in Disney World. Wohl dem, der einen Fast Pass hat. Dieses Vorzugsticket gibt es gegen Aufpreis und berechtigt, an der Schlange vorbeizugehen. Im Tower geht einem dann das schnelle Auf und Ab des Fahrstuhls durch den Magen, wenn man einmal mehrere Meter nach unten sackt, um gleich darauf mit großer Beschleunigung ein paar Meter nach oben geschossen zu werden. Und dort, wo der „Fahrstuhl des Schreckens“ stoppt, öffnet sich urplötzlich ein riesiges Tor und gibt aus 30 Metern Höhe den Blick über den Park frei. Für einen Moment ist es ein Gefühl, als würde man hinaus geworfen.
Während sich im Tower noch etwas bewegt, ist der Simpsons Ride eine komplette Simulation visueller Art. Beim „Absturz“ in den Wasserfall mit Homer und Bart kommt der Grund rasend schnell als Film auf einen zu. Das Kribbeln in der Magengegend stellt sich prompt ein. Und so geht es weiter, während man eigentlich beinahe still und angeschnallt auf seiner Sitzbank an einer senkrechten Wand hängt. Alles um einen herum ist reine Illusion.
Ähnlich bei Mission to Space (Mission ins All). Zuerst stimmt einen via Bildschirm das auch in Deutschland bekannte Gesicht des Schauspielers Gary Sinise (Forrest Gump, Apollo 13, Erfolgs-TV-Serie CSI New York) auf das Abenteuer ein. In einer Viererkabine, die sich auf einer Kreisbahn bewegt, bekommt man durch das Verstärken und Nachlassen der Zentrifugalkräfte eine Ahnung von Beschleunigung und Abbremsen in einem Raumschiff und für Sekunden von der Schwerelosigkeit. Der Bildschirm vor der Nase zeigt den Blick beim Raumschiffstart durch die Wolken ins All und den Flug zum Mars – wieder perfekte Illusion. Und so geht es weiter, so lange man will und der Inhaltg des Geldbeutels es hergibt. Mit um die 70 Dollar pro Tag und Person ist der Besuch je Park kein billiges Vergnügen, auch wenn man mit Kombitickets eine ganze Menge sparen kann.
V. Wie im Tower
Dass Orlando nicht nur aus Spaß besteht, bekommen die wenigsten mit, die ein paar Tage mit Familie in der Welt der Illusionen und Attraktionen gebucht haben. Die Stadt ist auch ein Standort der Hochtechnologie. Dazu zählt das Unternehmen Adacel, das unter anderem Fluglotsen schult und ausbildet. Über riesige Bildschirme, die einen 180- Grad-Rundblick geben, werden Gelände und Abläufe auf Flughäfen eingespielt, besondere Situationen simuliert. Und wenn man sich in dem abgedunkelten Raum nicht umdreht, fühlt man sich wie in einem Flughafentower. Gäste dürfen durchaus auch mal das Kommando übernehmen. Schon da wird klar, wieviele Eindrücke gleichzeitig auf einen einstürmen.
Jede Menge mit Illusion und Simulation zu tun hat auch die Jet Blue University, eine Piloten- und Crew-Ausbildungseinrichtung der Fluglinie Jet Blue, die sich selbst als eine Airline sieht, die zwischen den Billig-Linien und den normalen angesiedelt ist. Zumindest das, was sie einem in ihrem Schulungszentrum vorführt, ist beeindruckend. In den Flugsimulatoren für die Piloten ebenso wie in den Abschnittgen, in denen das Kabinenpersonal die Evakuierung von Flugzeugen in unterschiedlichen Situationen probt. ….
Aber irgendwie passen auch Adacel und Jet Blue University ins Bild von Orlando, wo sich eben vieles, wenn nicht beinahe alles um Höhenflüge dreht.