Abenteuer an der Brücke

Ob zu Fuß, mit dem Auto, dem Kanu oder dem Fahrrad – das Gebiet um die südfranzösische Stadt Millau ist reizvoll. Die Region an den Flüssen Tarn und Jonte gilt als Eldorado für Kanufahren und Rafting. Gleitschirmsegler finden hier ebenso ausgezeichnetes Terrain vor wie bloße Naturfreunde. Das südliche Zentralmassiv ist über die Autoroute Nürnberg, Freiburg, Lyon am schnellsten zu erreichen. Die Gegend um Millau ist für einen Zwischenstopp von drei, vier Tagen auf der Tour an die französische Mittelmeerküste oder ins spanische Barcelona bestens geeignet. Bemerkenswert ist eine Vielzahl von großen Höhlen im Raum zwischen Millau und Mende.

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Die Brücke von Millau über das Tarntal im französischen Zentralmassiv.

Roger Moret hat die Hände fast bis zu den Ellenbogen in den Taschen seiner weiten Kordhose versenkt. „Haben Sie eine Ahnung, was die Brücke für uns bedeutet?“ fragt er und schaut dem Fotografen über die Schulter, der seine Kamera auf das gigantische Bauwerk angelegt hat.

Das überspannt in Schwindel erregender Höhe von fast 300 Metern und auf einer Länger von fast 2,5 Kilometern das Flüsschen Tarn samt Tal im französischen Zentralmassiv und quasi das Städtchen Millau. Von seinem Haus am steil aufragenden, der Brücke gegenüber liegenden Hang hat Moret einen fantastischen Blick über die Stadt hinweg hinüber zur im Frühjahr 2005 eröffneten Brücke der Superlative in ihrer gesamten Ausdehnung.

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Unter der Brücke von Millau.

Dass Fotografen ihr Equipment auf den gemauerten Pfeilern seiner Grundstückseinfahrt auflegen, ist für ihn nichts Neues. Und nicht zum ersten Mal erzählt er, wie sich noch vor wenigen Monaten die Karawane der Last- und Personenwagen durch die engen Straßen der Stadt quälte. Weil eben an dieser Stelle die sich durch das Zentralmassiv schwingende Autobahn zwischen Bezier und Clermont Ferrand unterbrochen war.

Vor allem im Sommer, wenn die um die anderen europäischen Touristen verstärkte Armada der Urlauber von Paris ans Mittelmeer rauscht, waren vier Stunden Fahrzeit für 30 Kilometer keine Seltenheit. Stoßstange an Stoßstange schoben sich die Autos hinab ins Tal, durch die Stadt und die Berghänge wieder hinauf. Genervt vom Stau fehlte der Blick für die Reize der Stadt und für die Schönheit der Täler des Tarn und des Jonte mit ihren Sehenswürdigkeiten und Freizeitmöglichkeiten.

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Mit dem Kanu auf dem Tarn.

Natalie blickt auf die Uhr. „Wenn Sie sich ranhalten, können Sie gleich noch mitfahren“, sagt die junge Frau und verteilt schon an die ersten Interessenten für eine Kanutour auf dem Tarn die Schwimmwesten, Helme, wasserdichten Transportbehälter und kleinen Schnüre zum Festbinden der Sonnenbrillen.

Elf Kilometer fährt der voll gestopfte Kleinbus mit seinem Anhänger voller Kanus das Tarntal hinauf. Keine halbe Stunde später werden die Boote und ihre Besatzungen ausgesetzt.

Und schon bekommen die nicht gerade mit wildem Wasser vertrauten Kanukapitäne die erste kleine Angst vor der eigenen Courage. Wie soll man über das Wehr mitten im Fluss kommen? Natürlich über die ein Dutzend Meter lange Bootsrutsche, an deren Ende alle pitschnass sind.

Doch bei 35 Grad im Schatten – und wo ist auf einem Fluss schon Schatten? – macht das nichts. Man gewinnt Sicherheit auf den nächsten Metern und die Erkenntnis: Mehr Wasser im Fluss muss es gar nicht sein. Dann wäre die Fahrt über die Wirbel und durch die Stromschnellen harte Arbeit. Und vergnügt grinsend fahren die Kanuten an den Besatzungen der großen Raftingboote vorbei, die die Gummikürper wegen des niedrigen Wasserstands über nur knapp überspülte Kiesbänke zerren müssen.

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In der Altstadt von Millau.

Schon abends beim Essen in einem der gemütlichen Restaurants von Millau und erst recht später daheim am langen Winterabend wird man schwärmen, wie man tollkühn rückwärts die Stromschnellen hinabgeglitten ist, das wilde Wasser bezwungen hat. Und man wird ein wenig an den Sonnenbrand auf den Schienbeinen denken, denn dort haben Rettungsweste und Helm nicht geschützt.

Weit oben hinter den nahezu senkrecht hunderte Meter am Fluss empor steigenden Felswänden locken die nächsten Abenteuer. Stundenlang kann man durch das Felsmassiv Vieux de Montpellier wandern, wo manche Steingruppe einem Häusermeer ähnelt, andere Burgen und Schlössern. Und wieder andere haben eigene Namen wie Sphinx, Krokodil oder Elefant.

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Im Felsmassiv Vieux de Montpellier

Der schmale Pfad schlängelt sich durch enge Klamms und felsige Torbögen und bietet immer wieder atemberaubende Ausblicke über das Zentralmassiv.

Nur wenige Kilometer Luftlinie aber eine gute Autostunde durch Schluchten und über Serpentinen entfernt dann das blanke Gegenteil. Mit einem Schrägaufzug geht es hinab in die riesige Höhle Aven Armand. Die Kathedrale Notre Dame von Paris passt komplett hinein, schwärmt Serge, der Student aus Lyon, der sich in den Sommermonaten als Führer durch die Höhle etwas dazu verdient.

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Tropfsteinhöhle Aven Armand.

Bis zu 30 und 40 Meter hoch ragen die Stalagmiten auf, die sich durch das tropfende Wasser der Jahrtausende gebildete habe. Bizarre Säulen faszinieren ebenso wie durchsichtig erscheinende Steinschleier oder den vereisten Bärten steinalter Männer ähnelnde Wandgebilde.

Roger Moret in Millau nickt dem Fotografen zu, und schlendert zurück in sein Haus. Vor der Treppe verhält er noch einmal kurz und lässt den Blick hinüber schweifen zur Brücke. Seit sie da ist, lebt es sich besser.